Ich möchte einfach heute Abend ein paar nicht ganz so schwer verdauliche und ein paar
nachdenkliche und hoffentlich auch ein paar vergnügliche Anmerkungen zur zweitschönsten
Nebensache der Welt machen. Vor allem auch darüber, was geschieht, wenn die Nebensache zur Hauptsache
zu werden droht, der Spaß im Fanatismus kippt, die Ironie in verzerrte Bilder vom
Leben, auch das gibt es. Doch zuvor ein kleiner Exkurs zum uralten Thema Spiel
und Religion. Das Spiel ist so alt wie die Menschheit und man weiß, dass die
Völker und Kulturen, die das Gegenüber von Sonne und Mond religiös als
Gegenüber von den Göttern der Sterne und der Sonne, als Gegenüber von Gut und
Böse inszeniert haben, dass sie den Ball erfunden haben als Abbild der Welt, die
sich zwischen Gut und Böse in einem Spiel um Leben und Tod bewegt. Sie sehen
auf der linken Seite die Sonnenaugen und auf der rechten die Mondaugen, die
halb geöffneten sind die Sonnenaugen, die rechten sind die Mondaugen.
Theo Stemmler hat vor einiger Zeit eine kleine Kulturgeschichte des
Fußballs vorgelegt, die sich auch mit den mythischen Anfängen beschäftigt.
Man kann die Beispiele zweier gegnerischer Mannschaften in
unterschiedliche Kulturen und Kontinente verfolgen, zum Beispiel nach
Mittelamerika, nach China und nach Japan. Während die aus dem alten China
überlieferten Spiele unstrittig Fußballspiele sind, hier sehen sie ein
Tor, handelt es sich bei den altamerikanischen eher um eine Art
Steißbeinspiel oder Hüftballern. Die haben den Ball sozusagen hier mit der Hüfte
geschlagen. Die Azteken und Mayas spielten mit einem aufgeblasenen Ball,
mit dem Hintern, ohne die Hände zu gebrauchen.
Auch hatten sie bereits Plätze, die für das rituelle Ballspiel ausgemessen,
markiert und vorgesehen waren. Das klassische Fußballspiel soll von den
Chinesen erfunden worden sein und zwar im dritten Jahrtausend vor Christus.
Zehn Spieler, zwei Tore. Das war schon vor 5000 Jahren Standard. Im siebten
Jahrhundert vor Christus kann man dann eine schriftlich festgehaltene
Enzyklopädie zum chinesischen Fußball nachweisen.
Sie beinhaltet alles, was das Herz eines Fußballtrainers höher schlagen lässt.
Spielregeln, taktische Hinweise, Spieleraufstellungen, die Aufgaben des
Mannschaftskapitäns und des Torhüters und circa elf Arten des Kickens und die
Regelverstöße. Auch der öffentliche Abschluss eines
Fußballspiels hört sich ziemlich modern an. Die Siegermannschaft erhielt
Geschenke, die Verlierer wurden mit Schimpfworten ja mit Prügel bedacht.
Der Ball erbildet den ganzen Kosmos ab in seiner Kontingenz. In diesem
wahnwitzigen Spiel des Lebens und ums Leben, wo in Bruchteilen von Sekunden
sich Glück und Unglück, Sieg und Niederlage, Tod und Leben entscheiden.
Das Spiel ist tiefer betrachtet die Feier der Kontingenz der Welt und in ihm
inszeniert sich die Dynamik von hin und her hervorbringen und gehen lassen, machen
und wiederfahren. Jedes Spiel basiert auf wenigen
grundlegenden Gesetzen. Kein Spiel ohne ungewissen Ausgang. Um überhaupt zu
einem Spiel zu werden, brauchen die Spieler Alternativen.
Kein Spiel ohne Freiwilligkeit. Wer zum Spiel gezwungen wird, spielt nicht mehr.
Kein Spiel ohne Regel. Alle Spiele funktionieren nach erstaunlicherweise
ähnlichen Gesetzen, die älter sind als die zehn Gebote. Gegenüber den Regeln
eines Spiels, sagt Paul Valery, ist kein Skeptizismus möglich.
Kein Spiel auch ohne Schein. So tun als ob. Falschspieler jonglieren mit sein und
schein und gewinnen mit Betrug. Warum aber spielen wir, warum spielen alle
Völker? Spiele sind wie Stufen, sagt eine alte Weisheit, die der Geist in die
monströse Wirklichkeit haut, um Tritt zu fassen. Das Spiel ergänzen die
Presenters
Prof. Dr. Johanna Haberer
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:27:28 Min
Aufnahmedatum
2006-02-07
Hochgeladen am
2017-07-06 14:31:19
Sprache
de-DE